In Biendorf (Landkreis Rostock) hat Stephanie Coetzer mit Vivi & Green im Jahr 2023 eine Architekturwerkstatt gegründet, die konsequent auf wohngesunde, nachhaltige und zirkuläre Baukonzepte setzt.
Ihre Geschichte zeigt, wie man mit Mut und klaren Werten eine Branche verändern kann. Im Interview mit GründerMV erzählt sie, wie aus einem inneren Konflikt eine Gründungsidee wurde – und wie sie in Mecklenburg-Vorpommern ein tragfähiges Netzwerk aufbaute.
Warum Vivi & Green entstand:
Von der Idee zur Vision
Stephanie, was hat dich ursprünglich zur Gründung von Vivi & Green bewegt?
Ich hatte über viele Jahre das Gefühl, mich in der klassischen Architektur immer weiter von meinen eigenen Überzeugungen und Werten zu entfernen. Vieles drehte sich nur noch um Rendite, während Themen wie Wohngesundheit, Nachhaltigkeit oder zirkuläre Konzepte kaum eine Rolle spielten. Ich sollte Konzepte vermitteln, hinter denen ich nicht mehr stehen konnte. Irgendwann war klar: Ich habe keine Lust mehr, meine Seele zu verkaufen.
Du hast gerade beschrieben, wie sehr dich die klassische Architektur von deinen Werten entfernt hat. Gab es dann einen Schlüsselmoment, in dem du wusstest: Jetzt starte ich mein eigenes Konzept?
Ja, den gab es tatsächlich. Bei der Planung eines Mehrfamilienhauses mit 27 Wohneinheiten kam die Anweisung, die oberste Geschossdecke komplett in Beton auszuführen, um danach einen Holzdachstuhl aufzusetzen. Da war für mich ehrlich gesagt der Ofen aus. In diesem Moment wusste ich: Wenn ich Architektur machen will, die wirklich nachhaltig und durchdacht ist, muss ich meinen eigenen Weg gehen.
Nachdem dieser Wendepunkt klar war, stellt sich die Frage: War die Selbstständigkeit schon immer dein Ziel – oder kam der Wunsch erst mit der Idee zu Vivi & Green?
Ich war während meiner Zeit in England bereits freiberuflich tätig und habe gemerkt, wie sehr mir diese Art zu arbeiten liegt, hatte sozusagen „Blut geleckt“. Deshalb wusste ich schon länger, dass ich wieder selbstständig sein möchte – nur, dass es so schnell gehen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
„Ich habe keine Lust mehr, meine Seele zu verkaufen. Wenn ich Architektur machen will, die wirklich nachhaltig und durchdacht ist, muss ich meinen eigenen Weg gehen.“
– Stephanie Coetzer, Gründerin von Vivi & Green
Der Wendepunkt:
Als die Entscheidung fiel
Die Entscheidung war gefallen. Aber wie ging es dann weiter? Wie bist du die einzelnen Schritte der Gründung konkret angegangen – vom Konzept bis zur Umsetzung?
Der erste Schritt war meine Kündigung, um die Ausbildung zur Baubiologin zu machen. Danach kam der Gründungszuschuss, und damit war der Grundstein gelegt. Richtig spannend wurde es mit der UG-Gründung. Ich musste mir alle rechtlichen Abläufe – Notar, Amtsgericht, Banken, Versicherungen – mühsam selbst zusammensuchen. Vieles war unübersichtlich, und oft hatte ich das Gefühl, etwas zu übersehen. Klare Informationen hätte ich mir sehr gewünscht, zumal ich lange Zeit alleine durch diesen Prozess durchmusste. Auch das vom Arbeitsamt gestellte Gründungscoaching war wenig hilfreich.
Mit der Struktur im Rücken stellt sich die Frage nach dem Ort: Warum hast du dich entschieden, in Mecklenburg-Vorpommern zu gründen?
Weil wir uns hier wohlfühlen – und weil in MV noch Raum für neue Ideen ist.
Der Standort prägt Chancen und Hürden. Welche Chancen und Herausforderungen hast du hier erlebt?
Ein großer Vorteil ist, dass man sich sehr schnell ein Netzwerk aufbaut. MV ist klein, und genau das macht es leicht, gute und nachhaltige Verbindungen zu knüpfen. Die größte Herausforderung war für mich die Komplexität des Gründungsprozesses an sich.
Wer gründet, braucht Verbündete. Welche Rolle haben Institutionen wie IHK, Wirtschaftsförderung oder Gründernetzwerke gespielt?
Über die IHK bin ich mit der Allianz für nachhaltiges Bauen in Kontakt getreten. Mit der Wirtschaftsförderung arbeite ich aktuell an einer weiteren Idee im Bereich wohngesundes Bauen. Am wertvollsten war für mich tatsächlich die Gründungswerft. Gerade als Neuankömmling in MV war das ein echtes Netzwerk zum Ankommen.

Finanzierung ohne Fremdkapital:
So hat Stephanie es gelöst
Neben den organisatorischen Fragen spielt die Finanzierung eine große Rolle. Wie hast du die Finanzierung deiner Gründung organisiert? Gab es Fördermittel, Kredite oder private Investitionen?
Ich habe bisher alles privat finanziert. Die Hürden für externe Finanzierung wirkten hoch, und der mit einer Förderung oft einhergehenden Bürokratie und Anforderungen haben mich eher abgeschreckt.
Mit der Finanzierung eng verbunden: die Rechtsform. Warum hast du dich für deine aktuelle Rechtsform entschieden und würdest du diese Entscheidung heute wieder so treffen?
Die UG war für mich die beste Lösung: Ich war das Modell einer Ltd. Firma aus England schon gewohnt und konnte die Haftung so gut strukturieren. Ich würde es wieder genauso machen.
Gründungskultur im Vergleich:
England vs. Deutschland
Du hast gerade erwähnt, dass du schon in England selbstständig warst. Wie unterscheidet sich die Gründungskultur dort von der in Deutschland?
Der Unterschied ist enorm. In England war die Gründung unkompliziert, sehr transparent und ohne große Hürden. Meine Steuerberaterin hat alles übernommen – ohne Notar, ohne Papierflut, ohne große finanzielle Einlagen und vor allem ohne eine Forderung des Finanzamts – bereits in der Woche nach der Gründung – zur Vorauszahlung der Umsatzsteuer von 3.000 Euro auf dem Tisch zu haben (was in Deutschland tatsächlich der Fall war!). Ich hatte jederzeit einen klaren Überblick. Das war eine ganz andere Erfahrung als hier.
Und welche Lehren nimmst du daraus mit? Welche Erfahrungen aus deiner Zeit in England helfen dir heute in MV?
Vor allem die innere Haltung, dass Selbstständigkeit Disziplin, Ausdauer und Mut braucht. Und das Vertrauen, dass sich immer Türen öffnen – auch dann, wenn man glaubt, gerade läuft alles schief. Diese Erfahrung hilft mir bis heute.
Wohngesund, ehrlich, zirkulär:
Das Konzept hinter Vivi & Green
Was genau bietet Vivi & Green an und was macht dein Konzept besonders?
Vivi & Green ist eine Architekturwerkstatt für konsequent wohngesunde, nachhaltige und zirkuläre Baukonzepte. Als Architektin und Baubiologin IBN habe ich das Wissen und die Erfahrung, wirklich schadstofffreie und ganzheitliche Planungen umzusetzen. Und da wir 90 Prozent unserer Zeit in Innenräumen verbringen, ist es für mich selbstverständlich, dass meine Baufamilien wissend entscheiden sollen, wie und mit welchen Materialien sie bauen und sanieren, denn ich bin davon überzeugt: Gesundheit ist HAUSgemacht.
Nachhaltigkeit und Individualität – wie wichtig sind sie für dein Geschäftsmodell?
Eine sehr große. Allerdings wird Nachhaltigkeit in der Baubranche oft missverständlich verwendet, nicht selten als Greenwashing, obwohl viele der beworbenen Produkte schadstoffbelastet sind. Für mich bedeutet Nachhaltigkeit, ehrlich hinzuschauen und individuelle Lösungen zu entwickeln, die den Menschen und somit auch der Umwelt keinen Schaden zufügen.
Wie reagieren deine Kundinnen und Kunden auf diesen Ansatz?
Viele meiner Baufamilien suchen genau diesen ganzheitlichen, wohngesunden und klaren Ansatz. Andere sind mit ihrem Bauvorhaben überfordert und froh, jemanden zu haben, der sie sicher begleitet. Über meine Baubiologische Beratungsstelle IBN kommen viele Betroffene mit gesundheitlichen Beschwerden auf mich zu – und viel zu oft lässt sich ihre Situation leider auf die gebaute Umgebung zurückführen. Wenn wir hier helfen können, ist das unglaublich wertvoll.
Von vielen Stationen ans Meer:
Ein Leben voller Erfahrungen
Du stammst ursprünglich aus Sachsen und bist in Baden-Württemberg aufgewachsen. Was hat dich nach MV geführt?
Ich bin sehr oft umgezogen, habe in Südafrika und England gelebt – und als wir zurück nach Deutschland wollten, war für meinen Mann klar, dass wir am Wasser bleiben wollen. So fiel die Wahl auf die Ostsee und schließlich auf MV.
Wie haben diese vielen Stationen deinen unternehmerischen Blick geprägt?
Ich bin seit über 20 Jahren in der Baubranche tätig, viele Jahre davon als projektleitende Architektin. Durfte sowohl kleine Um-, Aus- und Anbauten, als auch Schulbauten, Pflegeheime und große Wohnungsbauprojekte für Studenten, Familien und Senioren betreuen. Verantwortung zu übernehmen war für mich daher nichts Neues. Dass Unternehmertum in meiner Familie liegt, hat sicher auch eine Rolle gespielt – meine Eltern, Groß- und sogar Urgroßeltern waren alle in Handwerksberufen selbstständig. Vielleicht war es tatsächlich nur eine Frage der Zeit, dass auch ich diesen Weg einschlage…

Mit Vivi & Green gestaltet sie Architektur, die Menschen und Umwelt gut tut.
Meilensteine und Wendepunkte:
Was prägend war
Welche Meilensteine waren für dich besonders prägend seit der Gründung?
Mein erstes Honorarangebot, die Stellung der ersten Rechnung und der erste Zahlungseingang waren besondere Momente. Und jedes Mal, wenn jemand sagt: „Du wurdest uns empfohlen“, weiß ich, ich habe die richtige Entscheidung getroffen.
Gab es auch Wendepunkte in deiner Selbstständigkeit?
Ja – der Moment, indem ich verstanden habe, dass auch schwierige Entscheidungen Teil der Selbstständigkeit sind. Sich treu zu bleiben, auch wenn es unbequem wird, hat mich sehr wachsen lassen.
Die Zukunft von Vivi & Green
Wo siehst du Vivi & Green in fünf Jahren?
Ein Traum wäre es, Vivi & Green als feste Instanz für schadstofffreies und zirkuläres Bauen zu etablieren. Ich finde, jeder Mensch hat ein Recht auf eine gesunde gebaute Umwelt.
Und gibt es schon konkrete Pläne für neue Produkte oder Kooperationen?
Tatsächlich ja, ich arbeite gerade an einem digitalen Produkt rund um schadstofffreie Baustoffe. Viel mehr möchte ich noch nicht verraten – aber es wird spannend.
Tipps für Gründerinnen und Gründer
Welchen persönlichen Tipp würdest du anderen Gründerinnen und Gründern in MV mit auf den Weg geben?
Einfach mal machen – könnte ja gut werden. Der erste Schritt ist immer der schwierigste – alles andere entwickelt sich unterwegs.
Gibt es etwas, das du heute anders machen würdest?
Nein.
„Einfach mal machen. Könnte ja gut werden. Der erste Schritt ist immer der schwierigste. Alles andere entwickelt sich unterwegs.“
– Stephanie Coetzer, Gründerin von Vivi & Green
Blick hinter die Kulissen:
Erfolg und persönliche Momente
Was bedeutet für dich persönlich „Erfolg“?
Erfolg bedeutet für mich, etwas zu tun, das Sinn ergibt und mich erfüllt. Die Selbstständigkeit gibt mir Freiheit und Flexibilität. Das ist für mich ein großer Wert. Ich bereue keine Sekunde.
Welcher Moment in deiner Gründungsgeschichte ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Direkt zu Beginn meiner ersten Selbstständigkeit in England: Wir hatten gerade erfahren, dass Baby Nr. 2 unterwegs ist, meine Firma war frisch gegründet – und mein Mann kam mit einer Kündigung nach Hause. Ein Schockmoment. Wenige Tage später fand ich eine Ausschreibung als freiberufliche Design Managerin und stand wenig später schwanger auf der Baustelle und habe den Umbau eines Bürokomplexes in ein Studentenwohnheim fachplanerisch koordiniert. Dieses Projekt hat mir wieder einmal gezeigt, dass ein gutes Team der Grundstein eines jeden Bauprojektes ist und dass selbst schwierige Starts zu etwas Großartigem führen können.
Möchtest du uns noch etwas Persönliches über dich verraten?
Ich durfte in meinen 44 Jahren so einiges sehen und erleben, bin 22 mal umgezogen und wohne aktuell mit meiner Familie auf unserer eigenen Sanierungsbaustelle auf 36 Quadratmetern in einem Mobilheim – ein echter Realitycheck, wie viel bzw. wenig wir wirklich zum Leben und glücklich sein benötigen. Ich habe einen tollen Mann an meiner Seite und zusammen mit unseren beiden Jungs stürzen wir uns täglich ins Abenteuer des ganz normalen Alltagswahnsinns. Durch die Selbstständigkeit kann ich Beruf und Familie deutlich entspannter vereinen, als es je während meiner Zeit als Angestellte möglich war und genau deshalb würde ich es jederzeit wieder so machen.
Kontakt:
Stephanie Coetzer
vivi & green architekturwerkstatt UG
Architektin & Baubiologin IBN
Brückenbrink 3
18230 Biendorf
Telefon: 038294 390670
Mobil: 0176 8427 4440
E-Mail: sco@viviandgreen.de
Instagram
Linkedin
Stephanie Coetzer zeigt, wie wichtig es ist, den eigenen Werten treu zu bleiben. Mit Vivi & Green setzt sie neue Maßstäbe für gesundes und nachhaltiges Bauen in Mecklenburg-Vorpommern.
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